Organische Determination



7. Organische Determination

Determination ist in Hartmanns Ontologie eine Fundamentalkategorie, die verschiedene schichtspezifische Abwandlungen erfährt. Neben der im Bereich der anorganischen Materie herrschenden Kausalität gibt es eine spezifische Determination für den Bereich des Lebendigen, die jedoch von der im Bereich des Geistigen herrschenden finalen Determination verschieden sein soll. Hartmann versucht mit seiner Theorie der organischen Determination die traditionellen Standpunkte des Mechanismus und Vitalismus zu überwinden. Die organische Determination soll eine bisher weitgehend übersehene Zwischenform von Kausalität und Finalität sein. Obwohl er sich damit gleichzeitig gegen zwei traditionelle naturphilosophische Positionen wendet, ist sein Hauptgegner doch die Finalität und das teleologische Denken. Um die Stellung von Hartmanns Auffassung im zeitgenössischen Kontext zu beleuchten, sollen im Folgenden Vergleiche mit Eduard von Hartmann, Hans Driesch, Max Hartmann und Ludwig von Bertalanffy angestellt werden.

7.1. Eduard von Hartmann

Eduard von Hartmann war neben Hans Driesch einer der bedeutendsten Vertreter des Vitalismus um die Jahrhundertwende. In seinem berühmten Frühwerk Philosophie des Unbewussten (1869) hatte Hartmann den Vitalismus primär metaphysisch begründet, und in seiner Spätschrift Das Problem des Lebens (1906) versuchte er, diese Position in Auseinandersetzung mit den neuesten biologischen Forschungsergebnissen und Theorien abzusichern. Obwohl Nicolai Hartmann diese Schriften seines Namensvetters aller Voraussicht nach gekannt hat, ist er jedoch weder in seiner Frühschrift Philosophische Probleme der Biologie (1912) noch in seiner Philosophie der Natur (1950) auf sie eingegangen.

Eduard von Hartmann hat seine Überlegungen in den Kontext der zeitgenössischen Physik gestellt. Den alten mechanistischen Materialismus, der alles Geschehen auf die Bewegung von materiellen Teilchen reduzieren wollte, sieht er bereits in der Physik überwunden. Dadurch sei eine günstige Voraussetzung für die Anerkennung des Vitalismus erreicht worden. Solange man von dem Dogma der mechanistischen Weltanschauung ausgegangen sei und geglaubt habe, alle Ereignisse der Natur mechanistisch erklären zu können, habe der Vitalismus mit seiner Erklärung durch zwecktätige „Lebensagentien“ wie ein Verrat an der Naturwissenschaft erscheinen müssen. Nach der Überwindung des Materialismus sei dagegen nun Platz für eine Ergänzung mechanistischer Erklärungen durch teleologische Erklärungen. Von Hartmann betrachtet die physikalisch-chemischen Gesetze der anorganischen Natur als die festen Grundlagen der Biologie, auch wenn sie die Gesetzlichkeiten des Lebens nicht ausmachen. (vgl. E.v. Hartmann 1906, S.281ff) Indem er damit den Vitalismus als Ergänzung von Physik und Chemie konzipiert, befindet er sich im Einklang mit der Schichtungsidee, ja er spricht die Schichtungsidee geradezu selbstverständlich aus.

Nach Eduard von Hartmann müssen drei Irrwege des älteren Vitalismus vermieden werden. Wie die Materie sich als Produkt immaterieller Kräfte entpuppt habe, so müsse das Lebensprinzip zunächst als immaterielles Prinzip begriffen werden. Sodann dürfe das Lebensprinzip nicht im Sinne eines personalen Geistes als ein seine Zwecke bewusst und absichtlich verfolgendes Wesen gedacht werden, sondern als ein unbewusstes Prinzip. Als unbewusst-psychisches Prinzip habe es weder Gedächtnis noch Reflexion, sondern es agiere (wie jede Kraft) mit der Naturnotwendigkeit von Gesetzen - wenn auch höherer Art. Es sei also kein persönlicher Dämon in den organischen Prozessen. Das Lebensprinzip sei schließlich kein individuelles Prinzip, da es sich einerseits bei der Befruchtung mit einem anderen Lebensprinzip zu einem neuen vereinigen und andererseits bei der Zellteilung in zwei Wesen spalten könne. Das Lebensprinzip ist daher nach von Hartmann immateriell, unbewusst und überindividuell. (vgl. E.v. Hartmann 1906, S.284f, 286ff) - Von den drei wesentlichen Bestandteilen des Vitalismus Eduard von Hartmanns hat Nicolai Hartmann sich nur mit These der unbewussten Zielgerichtetheit organischer Prozesse kritisch auseinandergesetzt. Demgegenüber ist die organische Determination für ihn kein immaterielles Prinzip, weil die anorganische und organische Natur das Reich der Materie umfasst und das Immaterielle erst mit dem Seelischen einsetzt. Die These, dass das Organische durch ein individuelles Prinzip charakterisiert sei, wird von Nicolai Hartmann zwar nicht diskutiert, doch gelten ihm die dieser These zugrunde liegenden Phänomene der Befruchtung und Zellteilung als schlichte biologische Tatsachen. Die entscheidende Differenz zwischen beiden Philosophen betrifft daher erst die Anerkennung unbewusster Finalität. Nicolai Hartmann lehnt diese Auffassung entschieden ab, weil für ihn von Zwecktätigkeit und Zielgerichtetheit nur dann gesprochen werden darf, wenn bewusste Setzung und Realisierung von Zwecken vorliegt.

7.2. Hans Driesch

Hans Driesch war der wichtigste Vertreter des Vitalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er hat seine Auffassung insbesondere in seiner Philosophie des Organischen (1909) entwickelt. Während Driesch auch in den späteren Auflagen dieser Schrift nicht auf Hartmanns Frühschrift einging, war Driesch für Hartmann noch in seiner Philosophie der Natur (1950) ein wichtiger Bezugspunkt seiner naturphilosophischen Reflexionen.

Nach Driesch kann die in einem Organismus herrschende Ordnung nur das Produkt eines ursprünglichen Lebensprinzips sein, das er mit Aristoteles „Entelechie“ nennt. Zwar könne jeder Bestandteil eines Organismus je für sich allein physikalisch-chemisch beschrieben und erklärt werden, aber für die Erklärung des Ursprungs der Ordnung selber sei dies unmöglich. Da keine Maschine zu solchen Leistungen fähig sei, müsse man dazu einen autonomen, nicht weiter zurückführbaren Naturfaktor annehmen. (Vgl. Driesch 1909, S.284f) - Soweit Driesch sich damit gegen die Reduktion biologischer auf physikalische Gesetze wendet, stimmt seine Auffassung mit Hartmanns Schichtenlehre überein. Das Phänomen der Zweckmäßigkeit ist ja auch für Hartmann ein Novum des Organischen, das sich nicht auf die Schicht der anorganischen Materie reduzieren lässt.

Driesch betrachtet die Entelechie als einen immateriellen Faktor, dessen einzige qualitative Beschaffenheit darin besteht, Ordnung zu erzeugen. Er stellt sich das offenbar so vor, dass die Entelechie fähig ist, Reaktionen zu suspendieren, indem sie kinetische Energie in potentielle Energie überführt, und umgekehrt Reaktionen auszulösen, indem sie suspendierte Energie wieder freisetzt. (Vgl. Driesch 1909, S.294ff, 298, 302, 315) Nach Driesch hat die Entelechie auch keinen Platz im Raum inne, obgleich ihre Manifestationen in den organischen Individuen räumlich sind. Sie dürfe daher auch nicht durch räumliche Analogien vorgestellt werden. Das Wesen der Entelechie lasse sich nur negativ umreißen. (Vgl. Driesch 1909, S.346ff) - Auf Einzelheiten von Drieschs Konzeption hat Hartmann sich nicht eingelassen. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen deren Grundthese, dass die Phänomene der Zweckmäßigkeit nur durch zwecktätige Vitalprinzipien erklärt werden können.

Ein wesentliches Merkmal der Entelechie besteht nach Driesch in ihrer Ganzheitskausalität. Diese Determination der Teile durch das Ganze soll sich von der „Einzelheitskausalität“ der anorganischen Vorgänge unterscheiden. (Vgl. Driesch 1909, S.373) Die Kausalitätsform des Organischen dürfe jedoch nicht als Finalursache verstanden werden. Denn die Idee der „causa finalis“ bedeute entweder die unsinnige Vorstellung, dass Ziele selber wirken, oder sie meine den psychologischen Begriff von Teleologie, wonach die Vorstellungen von Zielen wirken. Die Entelechie wirkt nach Driesch vielmehr nur so, „als ob“ sie Wissen und Wollen habe. Die teleologische Deutung des Organischen sei daher nur eine analoge Deutung. (Vgl. Driesch 1909, S.283f, 374) - Hartmann hat Drieschs Charakterisierung des Organischen durch eine Ganzheitskausalität entschieden abgelehnt, und zwar gerade dadurch, dass er Ganzheitskausalität bereits in der anorganischen Schicht, z.B. bereits bei chemischen Verbindungen, zu finden glaubte. Der wichtigste Unterschied zu Driesch besteht jedoch darin, dass Hartmann unbewusste Finalität ablehnt. Auf die Einschränkung Drieschs, dass die teleologische Deutung organischer Prozesse nur analog sei, ist Hartmann nicht eingegangen. Zugeständnisse an das teleologische Denken, und sei es auch nur in Form teleologischer Metaphorik, hat er stets abgelehnt.

7.3. Max Hartmann

Nicolai Hartmann war mit dem Biologen Max Hartmann befreundet. Sie standen über Jahrzehnte in einem (bisher unveröffentlichten) Briefwechsel. Die Wirkung ist jedoch ziemlich einseitig. Max Hartmann übernahm von Nicolai Hartmann das Grundgerüst seiner philosophischen Überzeugungen, während von einem vergleichbaren umgekehrten Einfluss keine Rede sein kann.

Max Hartmann hat sich in einer Reihe von Veröffentlichungen über Nicolai Hartmann geäußert. Geradezu eine Huldigung an Nicolai Hartmann ist die ihm gewidmete Schrift Die philosophischen Grundlagen der Naturwissenschaften (1949). In dieser aus Erkenntnistheorie und Methodologie bestehenden Schrift liefert der erste Teil eine Darstellung der Lehre Nicolai Hartmanns, die er, wie er an anderer Stelle sagt, als das „überstandpunktliche Ergebnis der Kantischen Erkenntnistheorie“ betrachtet. (vgl. M. Hartmann, Allgemeine Biologie, 4. Aufl. 1953, S.875) Nicht nur die Grundthesen und die Terminologie, sondern selbst der Aufbau der Metaphysik der Erkenntnis werden übernommen!

Besonders geschätzt hat Max Hartmann auch Nicolai Hartmanns Ontologie und Naturphilosophie. Die Jugendschrift Die philosophischen Grundlagen der Biologie (1912) bezeichnet er als den besten Beitrag von philosophischer und biologischer Seite zu dieser Thematik für Jahrzehnte, und die Philosophie der Natur (1950) nennt er gar das bedeutendste naturphilosophische Werk seit Kant. (vgl. M. Hartmann 1952, S.226; M. Hartmann 1956, S.201) Besonders bemerkenswert ist, dass er Nicolai Hartmanns Kategorialanalysen der dimensionalen und kosmologischen Kategorien geradezu als definitiv betrachtet, während er den Analysen der organologischen Kategorien zwar große intuitive Einfühlung und gründliche Sachkenntnis bescheinigt, aber sich zu bestimmten Teilen durchaus kritisch und ablehnend äußert. Als besonders verdienstvoll lobt er die Analysen der Assimilations-, Reproduktions- und Selektionsgesetze sowie die Analysen der Zentral- und Ganzheitsdetermination. Geradezu begeistert äußert er sich zu Nicolai Hartmann Analyse der organischen Determination, der er Einsichten bescheinigt, zu denen sich die biologische Forschung erst langsam vorarbeite. (vgl. M. Hartmann 1952, S.239, 246ff; M. Hartmann 1956, S.206f)

Trotz des großen Lobs geht Max Hartmann in seinen Stellungnahmen zur Schichtenlehre im Allgemeinen und zum Vitalismus im Besonderen doch mit Nicolai Hartmanns Auffassung keineswegs völlig konform. Zwar hat er die Schichtenontologie grundsätzlich akzeptiert, doch hat er die Schichtengrenzen zwischen Anorganischem und Organischem einerseits und zwischen Körper und Seele andererseits verschieden eingeschätzt. Das Verhältnis zwischen Körper und Seele hat er im Anschluss an Nicolai Hartmann als irrationale Kluft betrachtet, doch hat er, im Gegensatz zu ihm, auch eine Wechselwirkung zwischen Körper und Geist als unhaltbar abgelehnt. Anders als Nicolai Hartmann glaubte Max Hartmann ferner, dass es kontinuierliche Übergänge zwischen Anorganischem und Organischem gibt und dass eine Reduktion biologischer auf physikalische Phänomene prinzipiell möglich ist. Trotz dieser Differenzen hat Max Hartmann sich sehr ähnlich gegen den Vitalismus gewendet. Um die vitalistische der Auffassung, dass bei Organismen das Ganze mehr als die Summe der Teile ist, zu entkräften, hat er auf die von Nicolai Hartmann schon für das Anorganische herausgearbeitete Ganzheitskausalität hingewiesen. Außerdem übersehe der Vitalismus den Unterschied zwischen einer starren Maschine und einem flexiblen Mechanismus (bzw. einem „Gefüge“). Auch ein Gefüge sei nach Verlust eines Teils wieder in der Lage, ein Gefüge derselben geschlossenen Art zu bilden. (vgl. M. Hartmann 1948, S.41; M. Hartmann 1952, 233; M. Hartmann 1953, S.869ff, 879, 887, 889) Trotz seiner Kritik des Vitalismus hielt Max Hartmann die Kontroverse zwischen Mechanismus und Vitalismus - auf dem Standpunkt der Ontologie Nicolai Hartmanns! - für unentscheidbar. Mit dieser These glaubte er sich offenbar in Übereinstimmung mit Nicolai Hartmanns Position „diesseits von Mechanismus und Vitalismus“ zu befinden. (vgl. M. Hartmann 1952, S.228)

7.4. Ludwig von Bertalanffy

Ob Hartmann den Begründer der Systemtheorie Ludwig von Bertalanffy gekannt hat, ist unbekannt. Auf dessen Schriften ist er jedenfalls nicht eingegangen. Demgegenüber hat Bertalanffy im ersten Band seiner Schrift Das biologische Weltbild (1949) gelegentlich auf Hartmann Bezug genommen und ausdrücklich dessen Verdienste um die Systemtheorie gewürdigt.

Den Vitalismus hält Bertalanffy als naturwissenschaftliche Theorie für völlig verfehlt, weil er das rätselhafte Phänomen des Zweckmäßigen durch das noch rätselhaftere Prinzip der unbewusst final wirkenden Entelechie erklärt und damit einen ganzen Bereich der Natur der wissenschaftlichen Erklärung entzieht. Der Vitalismus laufe daher auf die animistische Auffassung hinaus, dass der Organismus von einem „Heer von Kobolden“ gesteuert wird. Im übrigen werde der Vitalismus durch die Geschichte der Biologie widerlegt, da sie zeige, dass jeweils solche Erscheinungen als Belege für den Vitalismus galten, die beim Stand der Wissenschaft noch nicht erklärt werden konnten. Vor Wöhler sei die Produktion organischer Verbindungen das Paradigma des Vitalismus gewesen, vor dem Auftreten von Systemtheorie und Kybernetik seien es die Erscheinungen der Regulation gewesen. (vgl. L.v. Bertalanffy 1949, S.20ff) Wie Hartmann kritisiert Bertalanffy damit den Vitalismus als verkappte Teleologie und als Festklammern an einer vorwissenschaftlichen Position.

Der traditionelle Gegensatz von Mechanismus und Vitalismus sieht Bertalanffy durch die neue systemtheoretische (bzw. organismische) Auffassung des Lebens überwunden. Durch die neue Auffassung seien drei Leitprinzipien der älteren Biologie, die Mechanismus und Vitalismus gemeinsam hatten, widerlegt worden. (vgl. L.v. Bertalanffy 1949, S.23) Das analytisch-summative Prinzip forderte, das organische Sein in seine elementaren Bestandteile aufzulösen und es durch die Summierung der Elemente zu erklären. Diese Prinzip ist nach Bertalanffy aber unzureichend, da jeder Organismus ein System von in Wechselwirkung befindlichen Elementen ist, wobei das System auch Eigenschaften hat, die keines seiner Elemente hat. (vgl. L.v. Bertalanffy 1949, S.25) Dieser systemtheoretischen Auffassung des Organischen kommt Hartmann nahe, wenn er den Organismus als ein organisches Gefüge deutet, das auch durch Ganzheitsdetermination bestimmt ist. Das maschinentheoretische Prinzip forderte die Zurückführung der Ordnung der Organismen auf feste strukturelle Bedingungen. Damit fasst auch der Vitalismus den Organismus nur als die Summe von Teilen einer Maschine, jedoch mit dem Zusatz, dass sie durch einen seelenartigen Ingenieur kontrolliert wird. Aber die feste strukturelle Ordnung des Lebens ist nach Bertalanffy gar nicht primär. Zwar können Organismen mit zunehmendem Alter bis zu einem gewissen Grad zu Maschinen erstarren und unflexibler werden, aber die strukturelle Ordnung selber sei Ausdruck einer dynamischen Ordnung. Das maschinentheoretische Prinzip verkenne vor allem die Regulationsfähigkeit der organischen Prozesse. Dieser Auffassung nähert sich Hartmann an, wenn er die Labilität und Selbstregulation organischer Gefüge herausstellt. Das reaktionstheoretische Prinzip fasste Organismen als ruhende Gebilde, die erst durch Reize in Tätigkeit versetzt werden. Aber nach Bertalanffy ist ein Organismus ein aktives System. (vgl. L.v. Bertalanffy 1949, S.28ff) Auch dieses Prinzip kennt Hartmann, wenn er die Aktivität organischer Gefüge beschreibt.

Aus der Zurückweisung der drei Leitprinzipien der traditionellen biologischen Forschung ergeben sich nach Bertalanffy die Grundsätze der organismischen Auffassung. Sie soll kein bloßer Mittelweg zwischen Mechanismus und Vitalismus sein, sondern sie soll diesen alten Gegensatz auf einer höheren Stufe mit einer völlig neuen Auffassung überwinden: Organische Systeme sind ganzheitlich, dynamisch und primär aktiv. Ein Organismus ist ein Stufenbau offener Systeme, der sich aufgrund seiner Systembedingungen im Wechsel seiner Bestandteile erhält. (vgl. L.v. Bertalanffy 1949, 30, 33, 124) Auch wenn bei Hartmann das terminologische Gewand der Systemtheorie noch fehlt, ist seine Philosophie des Organischen ein wichtiger Vorläufer der systemtheoretischen Auffassung des Lebens. Der von Hartmann proklamierte Mittelweg zwischen Mechanismus und Vitalismus kommt allerdings weniger in seiner Lösungsidee selber zum Tragen als vielmehr in seiner Auffassung von Organismen als ganzheitlichen, labilen und aktiven Gefügen.

Bertalanffy hat sich anerkennend über Hartmann geäußert. Als besonders verdienstvoll hat er es bezeichnet, dass Hartmann bereits 1912, also in seiner Frühschrift, auf die Notwendigkeit der Systembetrachtung hingewiesen habe. Hartmann habe erkannt, dass die (relative) Beständigkeit eines komplizierten organischen Systems auf der Wechselwirkung seiner Komponenten und dem Ausgleich entgegengesetzter Kräfte beruhe. Ebenso habe er erkannt, dass jedes begrenzte System Glied eines höheren Systems ist und seinerseits kleinere Systeme in sich enthalte. Da die allgemeine Systemlehre nach Bertalanffy eine logisch-mathematische Disziplin ist, die die allgemeinen Prinzipien von Systemen untersucht, gilt sie ihm die mathematisch exakte Fassung der Hartmannschen Kategorienlehre. (vgl. L.v. Bertalanffy 1949, S.183, 186f)