2.2. Der zeitgenössische Realismus


Mit seiner Metaphysik der Erkenntnis hat Hartmann sich unter die zeitgenössischen Bemühungen um eine Begründung des erkenntnistheoretischen Realismus eingereiht. Obwohl Hartmann sich mit den realistischen Positionen von Alois Riehl, Eduard von Hartmann und Oswald Külpe nicht offen auseinandergesetzt hat, hat er sie sehr wahrscheinlich gekannt und von ihnen Anregungen erhalten. Ob er auch die etwa gleichzeitig entstandene Begründung des Realismus von Moritz Schlick gekannt hat, ist allerdings eher zweifelhaft. Durch einen Vergleich mit diesen zeitgenössischen realistischen Positionen lässt sich die philosophiegeschichtliche Stellung von Hartmanns Realismus ein Stück weit aufklären.

2.2.1. Alois Riehl

Alois Riehl hat in seinem dreibändigen Werk Der philosophische Kritizismus (Bd.I-III, 1876-87) eine realistische Kant-Deutung gegen den aufkommenden neukantianischen Idealismus verteidigt. Kants Annahme von Dingen an sich als Ursachen der Empfindungen ist für ihn unverzichtbar, wenn man nicht die Vorstellungen für grundlos halten wolle. (Riehl III S.29) Gegen die Versuche, Kants Position als unvereinbar mit der Annahme von Dingen an sich nachzuweisen, betont er die Bedeutung der Kantischen Unterscheidung von Form und Inhalt der Erkenntnis: Da apriorisches Wissen nur die Form der Erkenntnis betreffe, müsse aller Inhalt der Erkenntnis von Dingen an sich stammen. Auch wenn die sinnlichen Qualitäten der Dinge als subjektiv gelten, bleiben die Empfindungen für Riehl doch stets Zeichen, die auf etwas Reales hindeuten. Es bleibt zumindest das Verhältnis des Bewusstseins zur Sache übrig. (Riehl I S.561ff; II S.307, 570; III S.36ff, 133) - Auch Hartmann akzeptiert die Dinge als Ursache der Empfindungen und betont die Unauflösbarkeit der Empfindungen in bloße logische oder apriorische Formen. (MdE 382) Anders als Riehl lehnt Hartmann jedoch die Subjektivierung der primären Qualitäten ab. Für ihn sind Raum, Zeit, Substanz und Kausalität Realkategorien, die von ihren bloß subjektiven Anschauungsformen und Erkenntniskategorien unterschieden werden müssen.

Der Realismus verdient nach Riehl den Vorzug vor dem Idealismus, weil die Erkenntnistheorie durch die Annahme einer bewusstseinsunabhängigen Außenwelt erst Sinn und Bedeutung erhalte. (Riehl II S.23) - Riehl vertritt damit bereits das zentrale Argument Hartmanns, dass der Realitätsbezug zum Erkenntnisphänomen gehört und dass der Erkenntnisbegriff ohne die Annahme des An-sich-Seins seine Bedeutung verliert.

Riehl hat eine umfassende Kritik des Idealismus geliefert. Eines seiner zentralen Argumente gegen den Idealismus lautet, dass das idealistische Programm, auf jede Art von bewusstseinsunabhängigem Sein zu verzichten, undurchführbar ist. Es ist nicht möglich, Bewusstsein und seine Vorstellungen absolut zu setzen, da Bewusstsein immer nur eine relative Existenz in Bezug auf eine bewusstseinsunabhängige Realität besitzt. Selbst Berkeley und Fichte, die beiden reinsten Vertreter des Idealismus, seien zur Annahme geistiger Wesen bzw. eines absoluten Ich gezwungen gewesen und damit in Widerspruch zu ihrem idealistischen Programm geraten. (Riehl II S.19f) – Auch hier nimmt Riehl ein zentrales Argument Hartmanns vorweg. Die Undurchführbarkeit des Idealismus hat Hartmann im Sinne dieser Kritik Riehls vor allem an den Systemen des deutschen Idealismus zu zeigen versucht. Er hat diese Kritik zu der These zugespitzt, dass es noch keine Philosophie ohne ontologische Annahmen gegeben habe.

Riehl wendet sich ferner gegen den Versuch, die unmittelbare Gegebenheit der Vorstellungen idealistisch zu verwerten. Der Idealismus habe zwar recht, dass nur das Bewusstsein unmittelbar gegeben sei, aber daraus folge nicht, dass alles, was für das Bewusstsein gegeben sei, damit auch nur durch oder im Bewusstsein existiere. Dass die Erscheinungen (als solche) nur Vorstellungen sind, heißt nach Riehl nicht, dass die Ursachen der Vorstellungen selber nur Vorstellungen wären. (Riehl II S.19) - Riehl bestreitet damit wie Hartmann, dass die Unmittelbarkeit der Vorstellungen per se ein Argument für den Idealismus darstellt, weil ihre repräsentierende Funktion damit in keiner Weise ausgeschlossen wird.

Zurückgeweisen wird Riehl auch das idealistische Argument, dass bereits der Gedanke eines An-sich-Seienden einen Widerspruch darstelle. Dagegen führt er den „intentionalen“ Bewusstseinsbegriff an: Da Bewusstsein gerade darin bestehe, sich auf etwas zu beziehen, was von ihm verschieden sei, existiere das erkannte Objekt auch unabhängig davon, ob ein Bewusstsein auf es Bezug nimmt oder nicht. (Riehl III 133ff) - Auch Hartmann versucht zu zeigen, dass der Begriff des An-sich-Seins keinen Widerspruch enthält. Riehls realistische Fassung des Intentionalitätsbegriffs entspricht im Kern Hartmanns These, dass der Realitätsbezug zum Erkenntnisphänomen gehört. Diese herausgestellten Gemeinsamkeiten deuten daraufhin, dass Riehls realistischer Neukantianismus eine wichtige Quelle von Hartmanns kritischen Realismus gewesen sein dürfte.

2.2.2. Eduard von Hartmann

Eduard von Hartmann hat in verschiedenen Schriften, zuletzt in seinem Grundriss der Erkenntnislehre (1907), einen kritischen oder „transzendentalen Realismus“ zu begründen versucht. Während seine Philosophie des Unbewussten (1869) mit ihren pessimistischen und teleologischen Grundthesen sich von Nicolai Hartmanns Ontologie grundlegend unterscheidet, haben die erkenntnistheoretischen Positionen beider Denker enge Berührungspunkte.

In der Rechtfertigung des kritischen Realismus unterscheidet E.v. Hartmann drei Schritte. Er versucht zunächst zu zeigen, dass der naive Realismus durch die Fortschritte der Naturwissenschaften überholt ist. Als diskutable erkenntnistheoretische Positionen verbleiben damit für ihn der transzendentale Idealismus und der transzendentale Realismus. Im zweiten Schritt wird der transzendentale Idealismus kritisch analysiert und als verfehlt zurückgewiesen. Der dritte Schritt besteht schließlich darin, Inhalt und Plausibilität des transzendentalen Realismus zu verdeutlichen. - In der Auffassung, dass der naive Realismus durch die Naturwissenschaften widerlegt wird, der transzendentale Idealismus dagegen eine überzogene philosophische Position darstellt, stimmen E.v. Hartmann und N. Hartmann ganz überein. Sofern auf dieser grundsätzlichen Ebene überhaupt eine Differenz vorliegt, liegt sie allenfalls darin, dass E.v. Hartmann mehr dazu neigt, gewisse Verdienste der philosophisch-idealistischen Kritik am naiven Realismus anzuerkennen, während N. Hartmann die Überwindung des naiven Realismus mehr als ein Verdienst der Wissenschaften begreift.

Der naive Realismus ist nach E.v. Hartmann die alltägliche, von praktischen Interessen beherrschte Weltanschauung, die die wahrgenommenen Objekte mit all ihren Qualitäten als real begreift. (E.v. Hartmann 1907, S.63, 66) Die Kritik dieser Position rekonstruiert von Hartmann in drei Stufen. Zunächst zeigt die erkenntnistheoretische Reflexion, wie sie bei den Vorsokratikern einsetzte, dass die sinnlichen Qualitäten subjektiven Charakter haben. Farben, Geruch, Klänge erweisen sich damit lediglich als Merkmale der Wahrnehmung, die von der Einwirkung der realen Objekte herrühren. (E.v. Hartmann 1907, S.69f) Sodann führt die Physik Schall, Wärme, Licht und chemische Reize auf molekulare Bewegungszustände zurück, löst die Materie in Energie und Kraft auf, hält aber an der Realität von Raum, Zeit und Bewegung fest. Schließlich zeigt die Physiologie der Sinneswahrnehmung, dass das Wahrgenommene nur Schwingungszustände in bestimmten Regionen des Gehirn sind. (E.v. Hartmann 1907, S.72-75) Durch den Wahrnehmungsprozess werden somit unräumliche Empfindungen im Bewusstsein hervorgerufen, aus deren Qualitäts- und Intensitätsunterschieden das Subjekt die Anschauung der räumlichen Außenwelt aufbauen muss. Das Bewusstsein ist daher für Eduard von Hartmann eine geschlossene Sphäre der Innerlichkeit, aus der es nicht herauskommt. Nicht Dinge an sich, sondern nur unsere Vorstellungen werden unmittelbar wahrgenommen. (E.v. Hartmann 1907, S.78) Die erkenntnistheoretische und naturwissenschaftliche Kritik hebt den naiven Realismus aus den Angeln, keineswegs jedoch den kritischen oder transzendentalen Realismus. – Diese Kritik am naiven Realismus teilt im Resultat auch N. Hartmann, doch spielen die einzelwissenschaftlichen Beiträge dieser Kritik in seinem Denken nicht dieselbe zentrale Rolle wie bei seinem Namensvetter. Die wissenschaftliche Kritik des natürlichen Realismus wird von N. Hartmann als eine bekannte Errungenschaft vorausgesetzt.

Eine überzogene Folgerung aus der Unhaltbarkeit des natürlichen Realismus findet E.v. Hartmann im transzendentalen Idealismus, der das Ding an entweder für unerkennbar oder schlicht für überflüssig betrachtet. Charakteristisch für diese Position ist, dass nicht nur die sinnlichen Qualitäten, sondern auch alle apriorischen Formen als bloß subjektiv gedeutet werden. E.v. Hartmann hat eine Reihe von Argumenten gegen diesen Idealismus vorgebracht. Eines seiner Hauptargumente betont die Inkonsequenzen des Idealismus. Einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bewusstseinsimmanenz allen Seins begehe der Idealismus schon, wenn er mehrere vorstellende Subjekte anerkenne. Eine weitere Inkonsequenz findet er darin, dass der Idealismus unbewusste Verstandestätigkeiten postuliert, um den Ursprung der Vorstellungen zu erklären. Ein solcher Rekurs auf etwas Bewusstseinstranszendentes widerspreche ebenfalls dem Grundsatz der Bewusstseinsimmanenz. (E.v. Hartmann 1907, S.82f, 97) - Diese Herausstellung der der Inkonsequenzen des Idealismus findet sich auch bei N. Hartmann. Auch er betrachtet den Solipsismus als die konsequente Form des subjektiven Idealismus (MdE 146), und auch er kritisiert die unbewussten Verstandestätigkeiten Fichtes und Schellings als unvereinbar mit dem idealistischen Programm.

Wie Riehl wendet sich E.v. Hartmann entschieden dagegen, den Satz der Bewusstseinsimmanenz idealistisch zu deuten. Aus der Tatsache, dass das Bewusstsein unmittelbar nur seine eigenen Inhalte erkennt, folgt für ihn keineswegs, dass das menschliche Erkennen die Bewusstseinssphäre nicht hypothetisch überschreiten kann. Die idealistische Auffassung, dass alles Erkennen in der Immanenz des Bewusstseins gefangen bleibt, weist er damit als Dogma zurück. Es gibt für ihn eben die Möglichkeit einer mittelbaren Erkenntnis der Realität. Wenngleich das Bewusstsein unmittelbar nur seine eigenen Inhalte hat, können seine immanenten Inhalte doch etwas Transzendentes repräsentieren. Der Idealismus zieht damit nach E.v. Hartmann aus der Einsicht, dass dem Bewusstsein unmittelbar nur seine eigenen Inhalte gegeben sind, die falsche Konsequenz, dass die Grenzen des Bewusstseins zugleich die Grenzen des Erkennens markieren. (E.v. Hartmann 1907, S.89, 94f) Der transzendentale Realismus ist dagegen die Position, die die Existenz der realen Dinge jenseits des Bewusstseins anerkennt, aber ihnen nur eine mittelbare Erkennbarkeit durch repräsentierende Vorstellungsobjekte zugesteht, sie ist also idealistisch in Bezug auf das unmittelbar Gegebene und realistisch in Bezug auf Erschlossene und Erdachte. (E.v. Hartmann 1907, S.63f, 125) – E.v. Hartmanns „transzendentaler Realismus“ und N. Hartmanns„Erkenntnismetaphysik“ stimmen hier grundsätzlich überein. Beide unterscheiden zwischen dem „Haben“ von Vorstellungen und dem "Erfassen" von Realität und verbinden die Anerkennung der Unmittelbarkeit des Bewusstseins mit der These der Erkennbarkeit der Realität durch Repräsentation.

Der transzendentale Realismus findet nach E.v. Hartmann eine Rechtfertigung zunächst darin, dass er eine plausible hypothetische Erklärung unserer Wahrnehmungswelt liefert. Allen Kategorien, die zur Erklärung der Entstehung der Wahrnehmung aus den Dingen an sich notwendig sind, muss daher eine reale Geltung eingeräumt werden. Auf diese Weise gelangt er dazu, neben der Kausalität auch Räumlichkeit, Zeitlichkeit, Substantialität, Einheit, Vielheit und Notwendigkeit als Realkategorien anzuerkennen. (E.v. Hartmann 1907, S.108, 111, 116ff) Eine zweite Rechtfertigung des transzendentalen Realismus sieht E.v. Hartmann darin, dass er ebenso ein Postulat der Naturwissenschaften wie der praktischen Welteinstellung ist, da der Realismus eine brauchbare Hypothese zur theoretischen und praktischen Orientierung in der Welt liefert. (E.v. Hartmann 1907, S.122f) - Die Rechtfertigungsstrategie E.v. Hartmanns, den Realismus als Voraussetzung einer akzeptablen Deutung der Wahrnehmung herauszustellen, findet bei N. Hartmann eine Parallele in seiner Verteidigung des Realitätsbezugs als unverzichtbarem Bestandteil des Erkenntnisphänomens. In beiden Fällen geht es darum, die Realitätsthese der natürlichen Weltsicht und den kritischen Realismus als Voraussetzung der Naturwissenschaften zu rechtfertigen.

2.2.3. Oswald Külpe

Einen bedeutenden Versuch der Begründung des kritischen Realismus hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts Oswald Külpe, der Gründer der Würzburger Schule der Psychologie, in seinem dreibändigen Werk Die Realisierung (1913, 1920, 1923) unternommen. Der erste Band erschien noch zu Lebzeiten Külpes, der zweite und dritte Band wurden aus dem Nachlass herausgegeben. Wie der Briefwechsel von Hartmann und Heimsoeth zeigt, hat er Külpe durchaus gekannt. In seinen Werken taucht Külpes Name dagegen nicht auf. Es lassen sich jedoch bemerkenswerte Gemeinsamkeiten ihrer erkenntnistheoretischen Standpunkte feststellen.

Külpes Grundthese ist, dass alle Erfahrungswissenschaften Realwissenschaften sind, die ein An-sich-Seiendes zu erfassen versuchen. (Külpe 1913, S.2f; vgl. Arnulf Zweig 1967, S.368) Mit dieser Idee, den Realismus als Voraussetzung der empirischen Wissenschaften zu rechtfertigen, verfolgt Külpe eine Strategie, die mit derjenigen Hartmanns weitgehend übereinstimmt. Külpes Auffassung von Erkenntnis als Erfassen ist jedoch, anders als bei Hartmann, ganz auf das Denken bezogen.

Külpe geht davon aus, dass die Realität nicht zur Bewusstseinswirklichkeit gehört; sie wird nicht erlebt (oder wahrgenommen), sondern nur gedacht. Sinnesqualitäten sind daher zwar keine realen Eigenschaften der Naturobjekte, aber sie deuten auf reale Eigenschaften der Dinge hin. Während Bewusstseinsinhalte als Zeichen oder Bilder für Realitäten fungieren, ist aber nur das Denken in der Lage, aus dem Bannkreis der unmittelbaren Bewusstseinswirklichkeit hinüber in die Realität zu gelangen. Dass das Denken das Bewusstsein transzendiert, heißt für Külpe, dass jeder Gedanke etwas anderes meint, als im Bewusstsein erlebt wird. (Külpe 1920, S.214; 1923 S.6ff, 10ff) Wie Riehl integriert Külpe damit den Begriff der Intentionalität in seine realistische Erkenntnistheorie. (vgl. Arnulf Zweig 1967, S.368) - Während Külpe und Hartmann Erkenntnis als Erfassen eines An-sich-Seienden verstehen, ist der Akt der Transzendierung bei Külpe nur Sache des Denkens. Hartmann billigt demgegenüber auch der Wahrnehmung Erkenntnischarakter zu. Dies schient jedoch letztlich auf eine bloß terminologische Differenz hinauszulaufen: Während Hartmann auch die Wahrnehmung wegen ihrer Repräsentationsfunktion als Erkenntnis versteht, will Külpe die Wahrnehmung wegen der Geschlossenheit des Bewusstseins nicht als Erkenntnis gelten lassen. Doch für beide hat Wahrnehmung eine (wie auch immer adäquate) Abbildfunktion.

Külpes Rechtfertigung des Realismus besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil verteidigt er die Annahme einer an sich bestehenden Realität gegen die idealistische Kritik. Im zweiten Teil untersucht er die positiven Gründe für diese Annahme. Im dritten Teil wird die realistische Grundthese der Erkennbarkeit der Realität gegen phänomenalistische Einwände verteidigt. Der vierte Teil analysiert schließlich die positiven Gründe, die für die These der Erkennbarkeit der Realität sprechen. - Dieser Versuch Külpes, „Setzung“ und „Bestimmung“ des Realen (wie er es nennt) zu rechtfertigen, unterscheidet sich von Hartmanns Begründung des Realismus vor allem durch ihre thematisch umfassendere Durchführung. In seiner Analyse der idealistischen und phänomenalistischen Einwände ist Külpe auf Vollständigkeit bedacht, während Hartmann sich auf die ihm wesentlich erscheinenden Einwände konzentriert. Im Gegensatz zu Hartmann bemüht sich Külpe auch um eine detaillierte Klärung der verschiedenen Arten, wie die Erkenntnis von Existenz und Wesen des Realen in den verschiedenen Realwissenschaften vollzogen wird, um damit die positiven Gründe zu überprüfen, die für den Realismus sprechen. Für einen Vergleich mit Hartmann eignet sich vor allem Külpes im ersten und dritten Teil vorgenommene Idealismuskritik.

In seiner Untersuchung der idealistischen Einwände gegen die Annahme einer an sich bestehenden Realität unterscheidet Külpe zwischen Einwänden des subjektiven und objektiven (bzw. logischen) Idealismus. Der subjektive Idealismus, von Külpe auch „Konszientialismus“ genannt, betrachtet das Bewusstsein als das allein Wirkliche und lehnt die Annahme eine An-sich-Seienden ab. In diesem Kontext diskutiert er zunächst den Einwand, dass die Wahrnehmung die Quelle aller Gewissheit ist und alle darüber hinausgehenden Annahmen als Spekulation abzulehnen sind. Dagegen wendet er ein, dass die Bewusstseinswirklichkeit zwar den Ausgangsstoff, aber nicht den ganzen Inhalt der Erfahrungswissenschaften bildet. Die von den Wissenschaften rekonstruierte Realität fällt nicht mit den bloß temporären Bewusstseinsinhalten von Individuen zusammen. (Külpe 1913, S.203ff, 210f) - Die idealistisch-positivistische Idee, Erkenntnis auf das unmittelbar Gegebene zu reduzieren, wird auch von Hartmann als undurchführbar abgelehnt. Als ehemaligem Schüler des Marburger Neukantianismus ist ihm die Bedeutung des Denkens gegenüber dem bloß Gegebenen nur allzu bekannt. Es gilt ihm als ausgemacht, dass eine Reduktion wissenschaftlicher Theorien auf Wahrnehmung oder Sinnesdaten ausgeschlossen ist.

Ein weiterer von Külpe untersuchter idealistischer Einwand ist die (z.B. von Berkeley vertretene) These, dass die hinter der Wahrnehmung konstruierten realen Gegenstände bloße Abstraktionen sind. Külpe findet in diesem Einwand eine Verwechslung von Begriff und Objekt: Nur konkrete Objekte existieren, Begriffe haben dagegen kein Sein, sondern nur ein Gelten. Begrifflich rekonstruierte Objekte sind daher, wenn die Rekonstruktion wahr ist, real und keine bloßen Begriffe. Individuelles Sein ist eben nicht an Bewusstsein gebunden. (Külpe 1913, S.214ff) – Auch Hartmann kritisiert, dass der Idealismus die Differenz von Begriff und Objekt verwischt, wobei er freilich mehr den logischen Idealismus mit seiner Auffassung von Sein als gedankliche Setzung vor Augen hat.

Külpe kritisiert ferner den idealistischen Einwand, dass der Gedanke eines Dinges an sich logisch unhaltbar sei. Ausgehend von dem Grundsatz, dass es Widersprüche nur in oder zwischen Gedanken gibt, stellt Külpe zunächst klar, dass ein Widerspruch nur im Gedanken des Transzendenten selbst liegen könnte. Diese Möglichkeit weist er jedoch mit dem Argument zurück, dass der Gedanke von einem Gegenstand den Gegenstand selbst nicht zu einem Gedanken macht. (Külpe 1913, S.212f) - Ganz ähnlich hat Hartmann gegen dieses Standardargument der Neukantianer eingewendet, dass die gedankliche Setzung von etwas Transzendentem dieses nicht zu etwas Immanentem macht.

Im ersten Teil seines Werkes hat Külpe sich auch mit dem logischen Idealismus der Marburger Schule auseinandergesetzt. Die These der Marburger, dass die vermeintlich realen Objekte der Wissenschaften durch die Spontaneität des Wissenschaftlers erzeugt werden, stellt Külpe die realistische Auffassung von Erkenntnis als Erfassen entgegen. Obwohl der objektive Idealismus nach Külpe darin Recht hat, dass die Wissenschaften kein bloßes Beschreiben, Nachbilden oder Abbilden der anschaulichen Tatsachen leisten, werden die realen Gegenstände auf der Basis der gegebenen Bewusstseinswirklichkeit doch erfasst und keineswegs als ideale Gebilde bloß erzeugt. Die reale Welt wird zwar nur im Denken erfasst, aber sie ist damit keineswegs ein bloßer Gedanke, wie der logische Idealismus meint. Die Erfassung realer Gegenstände ist eben kein freies Konstruieren, sondern ein Rekonstruieren. (Külpe 1913, S.220ff, 237f, 240f) - Auch Hartmann wendet sich mit dem Begriff der Erkenntnis als Erfassen programmatisch gegen den logischen Idealismus. Und ähnlich wie Külpe den Idealismus als „Hypertrophie des Denkens“ anprangert, so kritisiert Hartmann die idealistischen Übersteigerungen. (Külpe 1913, S.50) Ein Unterschied ihrer Zugangsweise zeigt sich freilich in ihrer Sicht der Spontaneität des Erkennens. Während Külpe, mehr wissenschaftstheoretisch orientiert, dabei an den Erfindungsgeist des Forschers denkt, betont Hartmann, mehr erkenntnispsychologisch orientiert, die (z.T. unbewusste) Spontaneität des erkennenden Subjekts beim Aufbau der Wahrnehmungswelt.

Im dritten Teil seines Werkes unternimmt Külpe eine Untersuchung der phänomenalistischen Einwände gegen die Erkennbarkeit der Realität. Kants Argument, dass man die Dinge an sich wegen der unvermeidlichen Subjektivität unserer Erkenntnismittel nicht erkennen könne, wird von Külpe eingehend analysiert. Er kritisiert vor allem, dass Kants Gleichsetzung von Apriorität und Subjektivität unbewiesen ist. Selbst wenn Kant es gelungen wäre, den subjektiven Ursprung apriorischer Prinzipien nachzuweisen, wäre damit noch Külpe noch nicht erwiesen, dass diese Subjektivität der Erkenntnismittel die Erkenntnis der Realität ausschließt. (Külpe 1920, S.219, 225) Damit hat Külpe ein Argument vorgebracht, das in Hartmanns realistischer Theorie apriorischer Erkenntnis eine wichtige Rolle spielt.

Külpe wendet sich ferner gegen den Versuch des frühen Neukantianismus, wie er sich z.B. bei F.A. Lange findet, die physiologische Umdeutung der Theorie Kants als Argument für die Unerkennbarkeit der Realität zu reklamieren. Dass wir aufgrund der psycho-physischen Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens vielleicht nur bestimmte Seiten der Realität erfassen können, gesteht Külpe durchaus zu, doch heißt dies für ihn nicht, dass wir die Realität gar nicht erfassen können. Die Möglichkeit eines hypothetischen und partiellen Erfassens der Realität wird durch die Naturbedingtheit des Erkennens keineswegs aufgehoben. (Külpe 1920, S.259, 263f) - Hartmann setzt sich zwar kaum mit der physiologischen Kant-Deutung auseinander, doch versucht er im Einklang mit Külpes Kritik den Seinscharakter des erkennenden Subjekts mit der partiellen Erkennbarkeit der Realität zu verknüpfen.

Ähnlich wie Hartmann behauptet Külpe bereits, dass sich aus der Tatsache des Wandels wissenschaftlicher Theorien kein Argument für die Unerkennbarkeit der Realität gewinnen lässt. Trotz des Streits der Theorien gibt es nämlich einen unverkennbaren Erkenntnisfortschritt und dieser lässt sich nur von einem realistischen Standpunkt aus verständlich machen. (Külpe 1920, S.246ff)

2.2.4. Moritz Schlick

In seiner 1918 erstmals erschienenen Schrift Allgemeine Erkenntnislehre hat Schlick in kritischer Auseinandersetzung mit dem älteren Positivismus, dem so genannten „Immanenzpositivismus“, einen erkenntnistheoretischen Realismus begründet. Obwohl Hartmann und Schlick anscheinend keine Notiz voneinander genommen haben - auch in den jeweils 1925 erschienenen zweiten Auflagen ihrer erkenntnistheoretischen Hauptwerke fehlen jegliche Hinweise aufeinander -, haben beide vergleichbare erkenntnistheoretische Projekte verfolgt. Während Hartmann durch eine Kritik des neukantianischen Idealismus zum Realismus vorstoßen will, versucht Schlick dasselbe Ziel durch eine Kritik des Positivismus zu erreichen. Ein Vergleich ihrer Begründungen des Realismus ist daher eine philosophiegeschichtlich interessante Aufgabenstellung.

Schlick beginnt seine Überlegungen mit Analysen des Erkenntnis- und Wirklichkeitsbegriffs. Das Wesen der Erkenntnis besteht für ihn nicht in einem Erleben oder unmittelbaren Schauen des Wirklichen, sondern in der Bezeichnung der Realität durch Begriffe. Im Erkennen sind daher immer nur Zeichen für die Realität gegeben, niemals jedoch diese selbst; die bezeichnete Realität bleibt also jenseits der Zeichen. Daraus ergibt sich für Schlick der entscheidende Unterschied zwischen Erkennen und Kennen: Bekannt sind nur die gegebenen Bewusstseinsdaten, aber die erkannte Wirklichkeit geht über die bloß bekannte Bewusstseinswelt weit hinaus. (Schlick 1925, S.199ff) - Auch Hartmann gelangt zu einer analogen Unterscheidung zwischen dem Haben von Vorstellungen und dem Erfassen von Realem durch Vorstellungen. Im Unterschied zu Schlick deckt diese Unterscheidung sich bei ihm jedoch nicht mit der Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Denken. Für ihn erfasst auch die Wahrnehmung die Realität, wenn auch nicht adäquat.

Einen analogen Unterschied findet Schlick auch im alltäglichen Wirklichkeitsbegriff. Der naive Realismus des Alltags kennt neben den sinnlich wahrgenommenen Gegenständen bereits ein Wirkliches jenseits des Gegebenen. Im Alltag werden nämlich auch Gegenstände als real anerkannt, von denen nur die Wirkungen wahrgenommen werden. (Schlick 1925, S.204ff) Als unvermeidliche und unstrittige Ausgangsbasis der Philosophie betrachtet Schlick die Wirklichkeit der gegebenen Bewusstseinsdaten, also die Objekte der sinnlichen Wahrnehmung. Die philosophische Streitfrage sieht er dagegen darin, ob auch die erschlossenen Ursachen des Gegebenen als real gelten dürfen. Während der positivistische Idealismus den Ausgangspunkt der natürlichen Ansicht, also das unmittelbar Gegebene des Bewusstseins, rein zu bewahren versucht und auf alles nichtgegebene Reale verzichten will, geht es Schlick darum, mit dem Realismus an der natürlichen Ansicht festzuhalten und sie durch Herausarbeitung wissenschaftlicher Kriterien zu präzisieren. (Schlick 1925, S.207f) – Bedingt durch seine Orientierung am neukantianischen Idealismus sieht Hartmann die philosophische Problemstellung anders. Die Frage der Reduzierbarkeit des Wirklichen auf das Gegebene ist für ihn nicht das erkenntnistheoretische Grundproblem. Für ihn geht es auch nicht darum zu zeigen, dass die alltägliche Wirklichkeitsauffassung einen Unterschied zwischen wahrgenommenem und nicht wahrgenommenem Wirklichem macht. Vielmehr will er einerseits nachweisen, dass der alltägliche Realitätsbegriff unangemessen ist, insofern er wahrgenommene Eigenschaften der Dinge als Merkmale der an sich bestehenden Wirklichkeit versteht. Andererseits will er demonstrieren, dass die empirisch-wissenschaftliche Erkenntnis trotz der unvermeidlichen Angewiesenheit auf begrifflich-kategoriale Elemente noch als Erkenntnis der an-sich-seienden Realität verstanden werden darf.

Schlick geht in seiner Kritik des positivistischen Idealismus von der Zeitlichkeit als allgemeinem Wirklichkeitskriterium aus. Wie Hartmann betrachtet er alles Wirkliche als zeitbestimmt, aber nur ein Teil des Wirklichen, nämlich die physische Außenwelt, ist zugleich räumlich bestimmt; Bewusstseinsdaten sind dagegen schlechthin unräumlich. Die Bezogenheit aller Zeitbestimmung auf die jeweilige Gegenwart gewährleistet nach Schlick die Verknüpfung alles Wirklichen mit dem unmittelbar Gegebenen. (Schlick 1925, S.217ff, 222ff) Zum akzeptablen Begriff der Wirklichkeit gehört somit, dass alles wirklich ist, „was zu einer bestimmten Zeit seiend gedacht werden muss.“ (Schlick 1925, S.224) Wirklichkeit ist also keineswegs auf das unmittelbar Gegebene beschränkt, sondern umfasst auch die (nicht unmittelbar gegebenen) Dinge an sich. Während die Anerkennung von Dingen an sich bei Schlick aus der Analyse des Wirklichkeitsbegriffs folgt, ergibt sie sich bei Hartmann analog aus der Analyse des Erkenntnisphänomens.

Schlick untersucht verschiedene Argumente des Positivismus gegen die Annahme von Dingen an sich. Zunächst analysiert er das Argument, das den Begriff des Dinges an sich als widersprüchlich behauptet. Nach Schlick beruht die These, dass der „Gedanke eines nicht gedachten Dinges ein undenkbarer Gedanke“ ist, auf einer Äquivokation von „Denken“. Zum einen werde darunter eine Vorstellung im Bewusstsein und zum andern ein gemeinter (oder bezeichneter) Gegenstand verstanden. Dass ein Ding gemeint werden kann, heißt für ihn aber nicht, dass es im Bewusstsein auch erlebt oder anschaulich vorgestellt werden kann. Denken ist nach Schlick eben ein Bezeichnen von Gegenständen, die unabhängig vom Bezeichnen bestehen. Auch das von Berkeley und Schopenhauer strapazierte Argument, dass jedes Ding stets nur Objekt eines Subjekts ist, basiert nach Schlick auf einer ähnlichen Äquivokation. Dinge an sich sind daher zwar nicht anschaulich vorstellbar, aber denkbar. (Schlick 1925, S.226f, 253f) - Auch nach Hartmann beruht der Versuch, die Subjekt-Objekt-Korrelation gegen den Realismus auszuspielen, auf einer Zweideutigkeit des Objektbegriffs.

Dem positivistischen Argument, das die Annahme von Dingen an sich ablehnt, weil sie angeblich zu unlösbaren Problemen führt, gesteht Schlick zu, dass der Rückzug auf den Immanenzstandpunkt bestimmte philosophische Probleme schon im Ansatz vermeidet. Aber dieser Rückzug führt nach seiner Ansicht zur Aufhebung von Erkenntnis überhaupt, weil alles Erkennen Begriffe voraussetzt, die erst durch die Bearbeitung des Tatsachenmaterials gewonnen werden können. (Schlick 1925, S.227f) - Während der Verzicht auf Dinge an sich nach Hartmann zum Verzicht auf den Realitätsanspruch der Erkenntnis führt, bedeutet die Reduktion auf das Gegebene nach Schlick einen Verzicht auf die für alle Realerkenntnis notwendigen begrifflichen Mittel.

Ein wichtiges positivistisches Argument sieht Schlick schließlich in der These von der Überflüssigkeit der Annahme von Dingen an sich. Der Begriff eines Dinges an sich gehört danach nicht zu dem methodisch geforderten Minimum an Denkzutaten. Dagegen versucht Schlick nicht nur zu zeigen, dass die Anerkennung nicht gegebener Gegenstände zu keinen Schwierigkeiten führt, sondern darüber hinaus, dass der Immanenzstandpunkt mit dem Anspruch empirischer Wissenschaften, Gesetzeswissenschaften zu sein, unvereinbar ist. Bereits die Annahme einer realen Vergangenheit geht über den Kreis des unmittelbar Gegebenen hinaus. Um zur Annahme von Kausalgesetzen zu gelangen, müssen stets nicht vorhandene Größen von Kausalreihen gedanklich ergänzt werden. Auch die positivistische Auffassung, nicht gegebene Gegenstände als wahrnehmungsfähig zu charakterisieren, verletzt nach Schlick das Immanenzprinzip. Die Annahme von Dingen an sich ist daher unverzichtbar, um die Bewusstseinswelt verständlich zu machen und den Sinn empirischer Naturgesetze aufrechterhalten zu können. (Schlick 1925, S.228ff, 239, 250, 253, 260ff) - Einen Nachweis, dass das Gegebene nicht die ganze, von den Wissenschaften erfassbare Realität ausmacht, hat Hartmann nicht geführt. Als Schüler der Marburger galt ihm die Einsicht in die Leistung begrifflich-kategorialer Elemente für die wissenschaftliche Weltansicht zeitlebens als eine Trivialität.

Den Ursprung der positivistischen Identifizierung des Wirklichen mit dem Gegebenen sieht Schlick in dem alten Erkenntnisbegriff, der Kennen und Erkennen verwechselt. Die Unvorstellbarkeit nicht gegebener Realitäten bedeutet für ihn keineswegs ihre Unerkennbarkeit. Gegen die Gleichsetzung von „esse“ und „percipi“ betont Schlick, dass Objektwahrnehmung gerade darin besteht, Wirkungen von Objekten zu erleben. (Schlick 1925, S.239, 247ff, 262ff) – Im Unterschied zu Schlick sieht Hartmann den erkenntnistheoretischen Grundfehler des Idealismus nicht in der Gleichsetzung von Gegebenheit und Wirklichkeit, sondern in dem Verzicht auf den Realitätsanspruch der Erkenntnis.

Die Annahme von Dingen an sich verteidigt Schlick vor allem gegen den Phänomenalismus. Eines seiner zentralen Argumente besagt, dass alle Unterschiede zwischen Phänomene auf Unterschiede ihrer realen Gründe zurückgeführt werden müssen. Denn wenn Dinge an sich als Ursachen der Phänomene anerkannt werden, dann müssen den Unterschieden in den Erscheinungen Unterschiede in den realen Dingen entsprechen, weil andernfalls die Unterschiede keine realen Gründe hätten. Die damit anerkannte Annahme einer eindeutigen Korrespondenz zwischen Erscheinung und Realität ist nach Schlick nichts anderes Erkenntnis, denn Erkenntnis besteht gerade in einem solchen eindeutigen Zuordnen. Wie Hartmann wehrt Schlick sich damit gegen die Kritik, dass die im Erkenntnisbegriff enthaltene Idee der Korrespondenz (oder der eindeutigen Zuordnung) auf eine überflüssige Weltverdoppelung hinauslaufe. (Schlick 1925, S.271ff)

Schlick hat sich auch mit dem neukantianischen Idealismus auseinandergesetzt. Dabei untersucht er vor allem die Frage, ob es Kategorien im Sinne Kants gibt, die vom Denken der Wirklichkeit aufgeprägt werden. Dass es solche apriorischen Begriffe nicht gibt, folgt für Schlick bereits aus dem Wesen der Erkenntnis, wonach Begriffe nur Zeichen für Gegenstände sind. Apriorische Begriffe wären daher Zeichen, die unabhängig von Erfahrungsgegenständen schon etwas bezeichnen würden - was Schlick für einen Widerspruch hält. (Schlick 1925, S.400-403) – Eine solche sprachphilosophische Zugangsweise findet sich bei Hartmann nicht.

Andere Einwände Schlicks gegen die neukantische Auffassung von der konstitutiven Funktion des Denkens sind mehr im Geiste Hartmanns. So wendet sich Schlick wie Hartmann etwa dagegen, die Tatsache des Erkenntnisfortschritts idealistisch auszudeuten. Auch wenn die Erfahrungsgegenstände im Laufe des Erkenntnisfortschritts niemals erschöpfend erkannt werden können, heißt dies für ihn doch keineswegs, dass es keine Tatsachen der Wissenschaften gibt. Anders als Hartmann will Schlick aber an der Unbezweifelbarkeit der Wahrnehmungsbasis festhalten. Ferner wendet sich Schlick gegen die neukantianische These, dass alle Bestimmungen von Objekten durch Denkakte zustande kommen. Denn wenn die Leistung des Denkens darin besteht, das Seiende durch Begriffe zu bezeichnen, dann wird das Seiende durch das Denken eben keineswegs erst bestimmt. Alles Seiende ist vielmehr schon an sich bestimmt. (Schlick 1925, S.405ff) - In ähnlicher Weise vertritt Hartmann die These vom an-sich-seienden Sosein und betrachtet die neukantische These als eine Verwechslung von Begriff und Realität.

Schlick gelangt schließlich zu einem erkenntnistheoretischen Realismus, der mit Hartmanns Konzeption vieles gemeinsam hat. Beide stimmen darin überein, dass die naive Vorstellung von Wahrnehmung als einer einfachen Kopie der objektiven Welt verfehlt ist. Ferner teilen sie die These, dass die Wahrnehmungen der verschiedenen Sinne einer einzigen Wirklichkeit zugeordnet sind und dass daher auch die Wahrnehmungen der einzelnen Sinne untereinander koordiniert sind. Aber anders als Hartmann hat Schlick Erkenntnis ganz auf die Begriffsebene verlegt. Da alles Anschauliche für ihn eo ipso subjektiv ist, ist die objektive Welt nur begrifflich erfassbar. (Schlick 1925, S.298f, 301ff) - Hartmann hat demgegenüber auch der Wahrnehmung Erkenntnischarakter zugesprochen. Wenngleich die Wahrnehmung für ihn kein einfaches Abbild der objektiven Realität liefert, ist die eindeutige Zuordnung der Wahrnehmungen zu den Strukturen der objektiven Realität doch ein ausreichender Grund dafür, ihren Erkenntnischarakter anzuerkennen.